Happy Birthday Proporz!100 Jahre alt und immer noch aktuell.
Im Oktober wählten wir Kandidatinnen und Kandidaten verschiedener Listen in den Nationalrat. Je mehr Stimmen eine Partei dabei erhalten hat, desto mehr KandidatInnen der Partei ziehen jetzt in den Nationalrat ein. Was uns heute selbstverständlich erscheint, war jedoch nicht immer so.
1919 wurde der Nationalrat zum ersten Mal per Proporz-Wahlsystem gewählt. Das hatte weitreichende Folgen für die Schweizer Politik – damals wie heute. Im neu gewählten Nationalrat sind sechs grössere und vier kleinere Parteien vertreten. Ohne die Einführung des Proporz wären es weit weniger. In dieser Woche erfährst du, was das Proporz-Wahlsystem ist und was es mit der Anzahl Parteien in unserem Nationalrat zu tun hat.
Proporz vs Majorz
Wahlen sind nicht gleich Wahlen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, eine Person ins Parlament zu wählen. Grundsätzlich wird zwischen zwei Wahlsystemen unterscheiden: Dem Majorz- und dem Proporzsystem. Je nach Wahlsystem brauchen KandidatInnen unterschiedlich viele Stimmen, um gewählt zu werden. Das hat auch einen Einfluss darauf, wie viele Parteien sich in einem Land bilden.
- Majorz Mehrheitswahl. Parlamentssitze gehen an die Personen mit den grössten Stimmenzahlen.
- Absolutes Mehr Gewählt ist, wer mehr als die Hälfte der Stimmen erhält.
- Relatives Mehr Gewählt ist, wer die meisten Stimmen erhält.
Um bei Majorzwahlen einen Sitz zu gewinnen, muss einE KandidatIn die Mehrheit der Stimmen in einem Wahlkreis erhalten. Alle anderen KandidatInnen gehen leer aus. Bei Majorzwahlen haben kleine Parteien deshalb nur wenig Chancen auf einen Sitz. Das bevorzugt grosse Parteien und führt dazu, dass insgesamt weniger Parteien ins Parlament einziehen. In Ländern, in denen nur mit Majorzsystem gewählt wird, gibt es in der Regel deshalb nur zwei grosse Parteien. Das erleichtert die Bildung von klaren Mehrheiten. Zum Beispiel wird das amerikanische Repräsentantenhaus, der Nationalrat der USA, per Majorz gewählt. Die beiden grössten Parteien gewinnen dort zusammen fast alle Parlamentssitze. Kleinere Parteien erhalten lediglich einen Sitz, wenn sie in einzelnen Wahlkreisen die Mehrheit erlangen.
Bei Majorzwahlen ist die Persönlichkeit der KandidatInnen tendenziell wichtiger als die Parteizugehörigkeit, weil die Stimme direkt an diese bestimmte Person und nicht an die Partei oder Liste geht
- Proporz Verhältniswahl. Die Sitze in einem Parlament werden auf die an der Wahl teilnehmenden Parteien/Gruppen verteilt. Das Verhältnis ihres Wähleranteils zum gesamten Wähleranteil bestimmt, welche Gruppe wie viele Sitze erhält. Die zugewiesenen Sitze werden auf die Listen der verschiedenen Parteien aufgeteilt.
- Wenn eine Liste genug Stimmen hat, um einen Sitz im Parlament zu holen, ist gewählt, wer von dieser Liste am meisten Stimmen geholt hat.
Proporzwahlen begünstigen kleine Parteien und fördern die Bildung von vielen verschiedenen Parteien. In Ländern mit Proporzwahlen gibt es in der Regel mehrere, auch kleine Parteien. Beispiel dafür sind die zehn Parteien im Schweizer Nationalrat oder die vielen, teilweise kleinen Parteien in Belgien.
In Proporzwahlen ist die Partei der KandidatInnen tendenziell wichtiger als deren Persönlichkeit, weil die Stimme nicht direkt an die KandidatInnen geht, sondern an deren Partei oder Liste. Wichtig ist in einem ersten Schritt nämlich nur, wie viele Stimmen die gesamte Liste erhalten hat. Erst in einem zweiten Schritt werden die Stimmen der einzelnen KandidatInnen wichtig.
Wahlsystem der Schweiz
In der Schweiz wird der Ständerat nach Majorz und der Nationalrat nach Proporz gewählt.
Der Ständerat steht für die Gleichheit der Kantone, deshalb hat auch jeder Kanton zwei Ständeratssitze. Eine Ausnahme bilden die Kantone mit je einer Standesstimme (umgangssprachlich als Halbkantone bezeichnet). Sie erhalten jeweils einen Sitz. Weil diese zwei Sitze gar nicht auf so viele Parteien verteilt werden können, finden hier Majorz- anstelle von Proporzwahlen statt. StänderätInnen sind daher auch oft dafür bekannt, dass sie keine extremen Positionen vertreten. Denn sie müssen auch die Stimmen von AnhängerInnen kleinerer Parteien für sich gewinnen, die keine Aussicht auf einen eigenen Sitz im Ständerat haben.
Der Nationalrat steht für die Unterschiede zwischen den Kantonen. Je mehr Menschen in einem Kanton wohnen, desto mehr Sitze hat ein Kanton im Nationalrat. Der Kanton Bern ist zum Beispiel mit 24 Sitzen im Nationalrat vertreten, der Kanton Neuenburg nur mit 4 Sitzen. Die Sitze werden mithilfe einer festgelegten Formel vergeben. Entscheidend ist dabei, wieviele Stimmen eine Partei erhalten hat. Weil die Kantone unterschiedlich viele Sitze haben und die Sitze nach dem Stimmanteil verteilt werden, ist es in grossen Kantonen einfacher, einen Sitz zu erhalten als in kleinen Kantonen. In Bern können auch kleinere Parteien einen der 24 Sitze erlangen, während in Neuenburg meistens nur die 4 Parteien mit dem grössten Stimmenanteil Sitze bekommen. Eine Ausnahme bilden die ganz kleinen Kantone. Sie stellen nur einE NationalrätIn. DiesE wird nachdem Majorz bestimmt: Diejenige oder derjenige mit den meisten Stimmen zieht in den Nationalrat ein.
Proporz in den Kantonen
Ziel der Proporzwahl ist es, dass möglichst viele verschiedene Gruppen im Parlament vertreten sind. Dadurch soll die Bevölkerung besser repräsentiert und auch die Meinungen von Minderheiten abgebildet werden. In Ländern mit grossen Unterschieden in der Bevölkerung (z.B. Religion, Einkommen oder Sprache) ist das Ziel, mehr Stabilität zu erreichen. Die Schweiz ist ein Land mit vielen Unterschieden und Facetten. Es gibt in der Schweiz protestantische und katholische Kantone, vier verschiedene Landessprachen und Unterschiede zwischen Stadt und Land.
Im Nationalrat sind viele verschiedenen Parteien vertreten. Bestimmte Parteien gibt es sogar nur in bestimmten Kantonen, so zum Beispiel die Lega dei Ticinesi (Tessin), das Mouvement Citoyens Genevois (Genf) oder die Christlichsoziale Partei Obwalden (Obwalden). Im Nationalrat schliessen sich diese Parteien meist den grossen Fraktionen an.
Auswirkung
Ziel der Proporzwahl ist es, dass möglichst viele verschiedene Gruppen im Parlament vertreten sind. Dadurch soll die Bevölkerung besser repräsentiert und auch die Meinungen von Minderheiten abgebildet werden. In Ländern mit grossen Unterschieden in der Bevölkerung (z.B. Religion, Einkommen oder Sprache) ist das Ziel, mehr Stabilität zu erreichen. Die Schweiz ist ein Land mit vielen Unterschieden und Facetten. Es gibt in der Schweiz protestantische und katholische Kantone, vier verschiedene Landessprachen und Unterschiede zwischen Stadt und Land.
Wird nach Proporz gewählt, hat das häufig zur Folge, dass die Parteien gemässigtere Positionen vertreten. Es stehen sich nicht zwei konkurrierende Lager gegenüber, sondern mehrere Parteien werben um die Stimmen der WählerInnen. Um Mehrheiten im Parlament zu bekommen, müssen sie auch VertreterInnen anderer Parteien für sich gewinnen und mit diesen verhandeln. In der Schweiz gibt es beispielsweise viele sogenannte Mitteparteien, also Parteien, welche auf gemässigte Positionen setzen. Wird nach Majorz gewählt, gibt es in einem Land meist nur zwei grosse Parteien. Sie versuchen häufig mit radikaleren Positionen für sich zu werben, wie zum Beispiel in den USA.
Das Wahlsystem hat auch Auswirkungen auf die Unterschiede innerhalb der Parteien. KandidatInnen einer Partei in einem Proporzsystem sind sich oft ähnlicher als in einem Majorzsystem. Beispielsweise stimmen die KandidatInnen auf einer Nationalratsliste in den meisten Punkten miteinander überein, während die Meinungen innerhalb der Demokratischen oder Republikanischen Partei in den USA stark auseinandergehen können.